Gedenken: Wehret den Anfängen... und erinnert EUCH!

15. März 2019

Lesen SIE bitte die SWP:.

Ein Zeichen an der Wand

Gedenken Mit einem Denkmal an der Fassade des Landgerichtsgebäudes wird an NS-Opfer von Zwangssterilisation und „Euthanasie“-Morden erinnert. Von Rudi Kübler

Der Löwe im Grün – der Entwurf von Hoheisel Knitz. ⇥Visualisierung: Hoheisel Knitz

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ie Nationalsozialisten sprachen von „Defekt-Menschen“, von „lebensunwertem Leben“ und von „Ballast für die Volksgemeinschaft“ – bis zu 400 000 Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung sowie Erbkrankheiten sind ab 1934 zwangssterilisiert worden. Bis zu 200 000 Menschen, die in Heilanstalten lebten, wurden in Vernichtungslagern ermordet.

Das Landgerichtsgebäude war einer dieser Tatorte, willfährige Ulmer Richter waren die Täter: Das Erbgesundheitsgericht Ulm ordnete 1155 Zwangssterilisationen an. 160 Ulmer mit Behinderungen wurden in Lagern wie Grafeneck getötet. „Wir wollen mit dem Projekt an die Existenz und die Auslöschung behinderter Menschen erinnern“, sagte Dr. Nicola Wenge, Leiterin des Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg.

Enthüllung Ende Oktober

Ende Oktober soll nicht nur das Denkmal am Landgericht enthüllt werden, das an diese Personengruppe erinnert, der die Nazis das Recht auf Leben absprachen. Begleitend dazu wird ein Erinnerungsbuch veröffentlicht, das zum einen die historischen Hintergründe aufzeigt, zum anderen Kurzbiografien der betroffenen Menschen enthält. Wenge schätzt die Kosten des Gesamtprojekts auf rund 100 000 Euro.

Land steuert die Hälfte bei

Die Hälfte steuert das Land bei, das damals in der Verantwortung stand und heute steht, wie Sibylle Thelen von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg betonte. Sie sprach von einem „wegweisenden Projekt, das im wahrsten Wortsinn Zeichen setzt“. Kulturbürgermeistern Iris Mann machte deutlich, dass sich auch die Stadt ihrer Verantwortung stellt, da damals auch städtische Ämter involviert waren. „Das Erinnerungszeichen ist Mahnmal und Aufruf zugleich.“

Entscheidung für „knappe Geste“

Das neunköpfige Auswahlgremium unter Vorsitz der Stadthaus­chefin Karla Nieraad hat sich für den Entwurf des Ulmer Büros Braun Engel Gestaltung entschieden. Gerhard Braun zeichnete das Bild einer „zurückhaltenden, ruhigen Gestaltung“, symbolisiert durch ein Edelstahl-Band, das vom Rasen auf die Fassade zuläuft und darauf verweist, was dahinter passiert ist. Braun sprach von einer „knappen Geste“.

Weniger knapp war die Geste von Hoheisel Knitz, deren Entwurf die erste Sitzungsrunde dominiert hatte. Die beiden Künstler wollten einen der zwei Löwen am Eingang ins Grün verpflanzen. „Ein Wow-Entwurf mit radikaler Wirkung“, wie Nieraad meinte. Der Eingriff in die Substanz des Gebäudes sei aber zu stark gewesen. „Mit der jetzigen Entscheidung fühlen wir uns alle wohl.“

 

Fragen an den Künstler Andreas Knitz, dessen Entwurf nicht realisiert wird

Gedenken Hinter Hoheisel und Knitz stecken die Künstler Horst Hoheisel und Andreas Knitz, die global zum Thema „Gedenken“ arbeiten. Ihre Werke finden sich in bedeutenden Museen und Gedenkstätten. Wir sprachen mit Andreas Knitz.

Was soll Ihr Entwurf aussagen? Wir wollten das Baudenkmal Landgericht Ulm in folgender Weise verändern: Der Portallöwe wird von seinem Sockel genommen und auf der für das Denkmal vorgesehenen Fläche vor dem Landgericht so aufgestellt, dass er auf das Gerichtsgebäude blickt. Dort liest er auf zwei im Sockelbereich angebrachten Tafeln über die Geschichte des Gebäudes und fordert somit die Passanten zum Mitlesen auf. Als Portallöwe bewachte er als Machtsymbol: die Freitreppe und die Eingangstür zum Gericht. Nun „bewacht“ und „liest“ er auf demokratischer Augenhöhe; verweist auf seine Beteiligung und reflektiert das eigene Handeln.

Wie enttäuscht sind Sie? Der Zivilisationsbruch, der von diesem Gebäude in elf Jahren Erbgesundheitsgericht ausging, das ein Ort der Schreibtischtat war, soll klar markiert werden. Es wäre so ein wichtiges Zeichen gewesen für die Menschen, die Opfer des organisierten Rassenwahns geworden sind. Aber der Schutz des Denkmals oder des Gleichgewichts der Justiz scheint wichtiger zu sein als einen der beiden Portallöwen in ein Geschichtszeichen einzubeziehen. So kam leider der Mut abhanden, sich auf eine weitere Debatte, insbesondere mit dem Denkmalschutz auf Landesebene, einzulassen.

Was werfen Sie der Jury vor? Die Opfer der Zwangssterilisierung und der „Euthanasie“-T4 Aktion waren die ersten Opfer des Holocaust. 80 Jahre später bekommen diese vergessenen Opfer ein Denkmal in Ulm. Wir sind nicht beleidigt als Künstler, dass unser Entwurf nicht umgesetzt wird; wir sind betroffen, dass die Verantwortlichen sich „kampflos“ im Vorfeld schon gebeugt haben. Das ist der eigentliche Skandal. Er liegt im Umgang mit der Geschichte und den Opfern heute. Dabei ist eben auch die Debatte um das Ein-Denkmal-Wollen Teil des Erinnerungsprozesses. Die Vorverhandlungen und Folgehandlungen sind eine wichtige, eigenständige und nicht planbare Dimensionen unserer Denkmalsarbeiten.

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